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Mythen und Fakten: Die Hartnäckigkeit von Fehlinformationen in der öffentlichen Wahrnehmung

HEV Graubünden
26.06.2024

In der öffentlichen Diskussion halten sich bestimmte Behauptungen hartnäckig über Jahre, ja sogar Jahrzehnte, obwohl sie bei genauer Betrachtung den Fakten nicht standhalten. Diese Phänomene zeigen, wie Wiederholung und mediale Verbreitung zur Verankerung bestimmter Mythen beitragen können. Im Folgenden werden einige dieser Behauptungen näher beleuchtet und mit aktuellen Forschungsergebnissen kontrastiert.

Eines der verbreitesten Narrative betrifft die Mieten. Diese würden geradezu explodieren. Wie eine Studie jedoch zeigt, sind seit der ersten Erhöhung des Referenzzinssatzes im Jahr 2023 lediglich 16 Prozent der Mietverhältnisse angehoben worden. Dies steht im Kontrast zu der dramatischen Darstellung in Medien und Politik, die suggeriert, eine weitreichende Mietpreisexplosion hätte stattgefunden. Es ist unbestritten, dass die sogenannten Angebotsmieten im Gegensatz zu den Bestandesmieten gestiegen sind, aber auch die Löhne sind gestiegen. Es ist wichtig, zwischen Bestandsmieten und Angebotsmieten zu differenzieren. Letztere sind im Zeitraum von 2010 bis 2020 eher gesunken.

Und nun zum Mythos, dass es zu wenig günstige, bezahlbare Wohnungen gibt. Diese Klage wird sowohl von der Politik als auch von den Medien geteilt. Doch was bedeutet eigentlich «günstiger Wohnraum»? Wollen wir nicht alle bezahlbaren Wohnraum? In der Praxis erweist sich die geforderte «Bezahlbarkeit» des Wohnens als schwer definierbar. Ein guter Ansatz zur Klärung dieses Begriffs ist der Vergleich der Entwicklung von Mieten zur Kaufkraft. So machte der Mietanteil für selbstgenutzten Wohnraum am gesamten verfügbaren Haushaltseinkommen privater Haushalte in der Schweiz im Jahr 2011 27 Prozent und im Jahr 2021 26,7 Prozent aus. Die Mieten sind also nicht stärker gestiegen als die Kaufkraft. Im Gegensatz dazu haben sich die Ansprüche an Wohnungen erheblich erhöht, so zum Bespiel die Zunahme der Wohnflächen, bessere Ausstattung sowie energetisch effiziente Gebäude. Tatsache ist, dass der Wohnungsbedarf rascher gewachsen ist als die Wohnungsproduktion. Die drei grossen Treiber für die Nachfrage nach Wohnungen sind die demografische Alterung der Bevölkerung, das Wachstum der Beschäftigten und der Bedarf an Zweitwohnungen.

Ein besonders hartnäckiger Mythos ist die Behauptung, Mieterinnen und Mieter in der Schweiz hätten zwischen 2006 bis 2021 78 Milliarden Franken zu viel an Miete bezahlt. Die 78 Milliarden, von denen hier die Rede ist entstammen einer Analyse, die das Büro für Arbeits- und sozialpolitische Studien (Bass) 2021 im Auftrag des Mieterverbands erstellt hat. Es handelt sich also um ein Parteigutachten. Die Analyse ist rudimentär gehalten: Aus einer Gegenüberstellung der Entwicklung des Mietpreisindexes einerseits und der Entwicklung der Hypothekarzinsen (Referenzzinssatz) sowie der Teuerung andererseits, wird abgeleitet, die Mieter hätten in der Periode von 2006 bis 2021 zu viel an die Vermieter bezahlt. Das ist falsch, denn zentrale Faktoren des Mietrechts werden in der Studie vernachlässigt: Neben den Referenzzinsen und der allgemeinen Teuerung sind gemäss Gesetz noch weitere Kostenentwicklungen zu berücksichtigen. So die gestiegenen Betriebskosten (zum Beispiel Versicherungsprämien, Wartungskosten für Anlagen wie Aufzüge, Hauswartskosten sowie die Steigerung der effektiven Unterhaltskosten. Vernachlässigt werden sodann in der Analyse die Mehrleistungen und wertvermehrenden Investitionen oder umfassende Überholungen. Gerade diese Kosten fallen ganz massiv ins Gewicht. Es werden jährlich Milliardenbeträge in baubewilligungspflichtige Umbauten und Sanierungen von Gebäuden investiert. Dazu kommen noch zumindest ebenso bedeutsame Investitionen für Bäder- oder Küchensanierungen, wie beispielsweise Fassadendämmungen, die keiner Bewilligung bedürfen und damit statistisch gar nicht erfasst sind. Ein wesentlicher Grund der ansteigenden Mietzinsen ist auch die Anspruchsinflation. Zu einer Verteuerung, namentlich bei Neubauten, führte nicht nur die gewaltige Zunahme der Wohnfläche in den letzten Jahrzehnten, sondern ebenso die nicht berücksichtigte gestiegene bautechnische und ökologische Qualität sowie stetig verbesserte Ausbaustandards. All das sollte man bei einem fairen Vergleich berücksichtigen.

Ein weiteres Narrativ besagt, dass die Wohnbaugenossenschaften selbsttragend seien. Genossenschaftswohnungen, insbesondere in den städtischen Zentren, sind tatsächlich günstiger. Wie schaffen sie das? Laut den Genossenschaftern selbst gibt es dafür hauptsächlich zwei Gründe: die Anwendung der Kostenmiete und die Einschränkung des Wohnkonsums. Sie sehen sich auch als selbsttragend, aber stimmt das wirklich? Erstens tragen Subventionen der öffentlichen Hand, beispielsweise durch Bürgschaften des Bundes oder Unterstützungen der kantonalen Wohnbauförderung, dazu bei, die Hypothekarkosten der Wohnbaugenossenschaften niedrig zu halten. Zweitens geben oft die Gemeinden den Boden unter Wert ab – sei es durch Verkauf oder im Baurecht. Dies ist jedoch de facto nichts anderes als eine Subventionierung von Wohnbaugenossenschaften. Ohne diese «Zuschüsse» müssten die Mieten deutlich höher sein. Es spricht nichts dagegen, den Genossenschaftsbau zu fördern. Aber der Vergleich zu den von Privaten gebauten Wohnungen hinkt.

Diese Beispiele verdeutlichen, wie wichtig eine kritische Auseinandersetzung mit Informationen und die Überprüfung von Aussagen sind. Nur so können Mythen entlarvt und eine fundierte öffentliche Diskussion geführt werden. Fakten sind die Grundlage informierter Entscheidungen in unserer Demokratie.

Reto Nick, Geschäftsführer HEV Graubünden